Wer kennt schon diese winzigen Inseln?

Prallvoll mit Lebenslust: Der wilde Bissagos-Archipel vor Guinea-Bissau

Georg Lindner

Lokalredaktion Treuchtlingen

E-Mail zur Autorenseite

5.4.2024, 18:55 Uhr
Einige Schildkröten sind von der Eiablage deutlich erschöpft. Die menschlichen Helfer unterstützen diese dann bei der Rückkehr ins Meer.

© Georg Lindner, NN Einige Schildkröten sind von der Eiablage deutlich erschöpft. Die menschlichen Helfer unterstützen diese dann bei der Rückkehr ins Meer.

Es ist kurz vor zwei Uhr nachts, als leise Weckrufe auf Portugiesisch und Englisch im Camp auf Poilão, der südlichsten der 88 Inseln des Bissagos-Archipels, zu vernehmen sind: "tartarugas - turtles".

Unsere kleine Reisegruppe wird vom Campleiter Samuel Leo Pontes geweckt, um die Ankunft der Grünen Meeresschildkröten zu erleben. Die steuern die unbewohnte Insel jährlich zehntausendfach an für ihre Eiablage. Wir sind Urlauber und doch eine Art Naturranger: Ein kleines Lager wurde auf der Insel eingerichtet, das der achtköpfigen Campbesatzung zwei Wochen als Unterschlupf dient, ehe sich im Wechsel eine anderes Team um die Reptilien kümmert. Diesmal sind wir dran.

Es gibt nur wenige Dutzend Strände auf der ganzen Welt, an der die bis zu 200 Kilogramm schweren Meeresschildkröten ihre Eier ablegen. Das Inselinnere ist für die Besucher tabu, wie auf anderen Inseln finden dort heilige Handlungen des Bissagos-Volkes statt.

Kaum 30 Meter entfernt von der Fotogruppe zeigt dieses Flusspferd seine gewaltigen Eckzähne.

Kaum 30 Meter entfernt von der Fotogruppe zeigt dieses Flusspferd seine gewaltigen Eckzähne. © Georg Lindner, ARC

Ausgestattet mit rot leuchtenden Kopflampen - weißes Licht würde die Tiere stören - laufen wir nur wenige Meter vom Camp über den Strand, um auf die ersten Schildkröten zu treffen. Diese mühen ihre massigen Körper durch den Sand und graben etwa couchtischgroße Löcher, in denen sie komplett verschwinden, um ihre Eier abzulegen. Da der Strand übersät ist mit Eiergruben und nur der Halbmond für etwas Licht sorgt, ist es nicht einfach, die Schildkröten aufzuspüren - das Keuchen bei der Eiablage weist uns den Weg.

Bis zu 200 Eier pro Schildkröte

Wenn die Grube fertig ist, geht es sehr schnell: Fast im Sekundentakt gleiten die golfballgroßen Eier aus dem Mutterleib, meist in zweistelliger Anzahl. Den Rekord in diesem Jahr stellte eine Schildkröte im Oktober auf, die 209 Eier verbuddelte, wie Pontes stolz berichtet.

Bis zu 2000 Schildkröten steuern an manchen Tagen zwischen September und Dezember die Insel an, meist nachts. Beim Graben der Gruben werden oft vorherige Gelege unbeabsichtigt ausgegraben. Diese Eier sammeln Helfer ein und vergraben sie an anderer Stelle, manche sogar auf einer Nachbarinsel, um eine zweite Population zu etablieren. Meistens sind es wenige hundert Schildkröten in jeder Nacht, womit das Beobachten in der Saison garantiert ist. Nach der anstrengenden Arbeit ist den Schildkröten die Erschöpfung merklich anzusehen.

Die Tiere, die es allein nicht zurück ins Meer schaffen, werden morgens von den Helfern getragen. Und dennoch sterben immer wieder Schildkröten, denen die Kraft für den Rückweg fehlt und die in der Sonne qualvoll sterben. Die Erfolgsquote in der freien Natur ist gering: Pontes schätzt, dass von 1000 gelegten Eiern nur ein Weibchen 20 Jahre später an den Strand ihrer Geburt zurückkehrt, um selber für Nachwuchs zu sorgen.

Flusspferde hier sind einzigartig auf der Welt

Die Schildkröten, so selten sie auch sind, sind aber nicht die einzige Besonderheit der 88 Bissagos-Inseln vor der Küste von Guinea-Bissau, einem Staat an der afrikanischen Westküste. Vor allem auf der Insel Orango leben Flusspferde in einzigartiger Umgebung: Die im Mittel etwa eineinhalb Tonnen schweren, mit den Schweinen verwandten Tiere haben sich auf das Leben in salzhaltigen Lagunen und Sümpfen angepasst.

Geschafft - diese kleinen Meeresschildkröten streben dem kühlen Nass entgegen. Frühestens in 20 Jahren kommen sie zurück, um selber Eier abzulegen.

Geschafft - diese kleinen Meeresschildkröten streben dem kühlen Nass entgegen. Frühestens in 20 Jahren kommen sie zurück, um selber Eier abzulegen. © Georg Lindner, ARC

Tagsüber ruhen sie sich aus und schützen ihre empfindliche Haut vor der Sonne. Erst nachts verlassen sie ihre Ruheorte, um durchs Meer schwimmend das Ufer abzugrasen. Vom Ausgangsort unserer Reisegruppe, dem Hotel Orango Parque - zugleich das einzige Hotel überhaupt auf Orango und damit einer der wenigen Arbeitgeber vor Ort - brauchen wir mit dem Boot eine halbe Stunde die Küste entlang.

Hüfttief durch den Tümpel

Nach einem über einstündigen Marsch durch eine savannenähnliche Landschaft und dem Durchschreiten einiger hüfttiefer Stellen des Tümpels finden wir eine kleine Gruppe dieser besonderen Flusspferde, die kaum 30 Meter entfernt im flachen Wasser dösen. Wie zur Mahnung öffnen sie alle paar Minuten ihre mächtigen Mäuler mit den riesigen Eckzähnen - Flusspferde sollen in Afrika mehr Menschen töten als alle Raubkatzen zusammen.

Eine kleine Meeresschildkröte robbt hier durch den groben Sand auf Poilão, der Schildkröteninsel des Bissagos-Archipels.

Eine kleine Meeresschildkröte robbt hier durch den groben Sand auf Poilão, der Schildkröteninsel des Bissagos-Archipels. © Georg Lindner, ARC

Eine afrikanische Legende dazu: Gott schuf einst die Flusspferde mit den großen Zähnen. Ihm fiel aber danach auf, dass er eigentlich Vegetarier schaffen wollte. Bis heute zeigen die Flusspferde mit ihren offenen, nach oben gerichteten Mäulern daher ihrem Schöpfer, dass sie ihm gehorchen und gar keine Tiere verspeist haben.

Die Flusspferde, die noch weitere Inseln des Archipels besiedeln und eher auf dem Meeresgrund laufend zwischen den Inseln wechseln, sind weltweit einzigartig. Nur auf den Bissagos-Inseln, von denen nur 21 bewohnt sind, findet sich dieser Flusspferdebestand, der ins Meer geht und nach der letzten Eiszeit übrigblieb.

Eine Flusspferdmutter und ihr Kalb. Fast immer kommt nur ein Junges zur Welt, das sein Geburtsgewicht von rund 30 Kilogramm im Laufe seines Lebens auf etwa 1,5 Tonnen vervielfacht. 

Eine Flusspferdmutter und ihr Kalb. Fast immer kommt nur ein Junges zur Welt, das sein Geburtsgewicht von rund 30 Kilogramm im Laufe seines Lebens auf etwa 1,5 Tonnen vervielfacht.  © Georg Lindner, ARC

Zwischen den Inseln zeigen sich im flachen Meer zahllose Sandbänke, auf denen sich viele Vögel niederlassen. Die seltenste Tierart hier wird besonders geschützt, nur wenige Touristen bekommen sie zu Gesicht: In den Gewässern leben auch Afrikanische Manatis, eine Seekuhart, die bis zu vier Meter lang werden kann und etwa eine halbe Tonne wiegt. Was sich leider auf allen Inseln findet: ngeschwemmte Plastikteile. Für die Schildkröten erschwert es das Kriechen auf dem Strand, viel gefährlicher sind aber Plastiktüten, die Quallen ähneln, als Nahrung erkannt und gefressen werden - mit tödlichen Folgen.

Orango - etwa eine Autostunde und vier Bootsstunden von der Hauptstadt Bissau entfernt - ist eines der letzten Naturparadiese der Erde, nur eine Handvoll Ausländer besuchen die Inseln jährlich. Dabei ist das Land nur vier Flugstunden von Lissabon entfernt - Hauptstadt der früheren portugiesischen Kolonialmacht.

Der Weg zu den Flusspferden ist ein Abenteuer für sich - bei über 30 Grad durch fast hüfthohe Gewässer zu waten ist ein besonderer Nervenkitzel. Jederzeit könnten unerwartet ein Flusspferd oder ein Krokodil hier lauern.

Der Weg zu den Flusspferden ist ein Abenteuer für sich - bei über 30 Grad durch fast hüfthohe Gewässer zu waten ist ein besonderer Nervenkitzel. Jederzeit könnten unerwartet ein Flusspferd oder ein Krokodil hier lauern. © Georg Lindner, ARC


Mehr Informationen:

Anreise:

Die portugiesische Airline TAP bietet drei wöchentliche Flüge von Lissabon nach Bissau an. Die meisten Verbindungen erfordern eine Zwischenübernachtung in Lissabon. Mehr unter www.flytap.com.

Beste Reisezeit:

Die Eiablage der Schildkröten erfolgt jährlich zwischen September und Dezember. Die Flusspferde sind ganzjährig zu beobachten.

Unterkunft:

Hotel Orango Parque (www.orangohotel.com). Wenige Reisebüros vermitteln Reisen, z. B. Ivory Tours (Rednitzhembach). Für eine Übernachtung in Bissau sind das Hotel CEIBA und das Bissau Royal Hotel empfehlenswert. Nur wenige Restaurants wie das Coqueiros, das Padeira und das Dom Bifanas erreichen in der Hauptstadt europäisches Niveau.

Der Weg durch das Archipel der Bissagos-Inseln wird mit solchen flachen Booten zurückgelegt. Viel größere Boote hätten aufgrund der vielen Sandbänke kaum eine Chance für die Durchfahrt.

Der Weg durch das Archipel der Bissagos-Inseln wird mit solchen flachen Booten zurückgelegt. Viel größere Boote hätten aufgrund der vielen Sandbänke kaum eine Chance für die Durchfahrt. © Georg Lindner, ARC

Keine Kommentare